Bei jedem Umzug bemerken wir, was sich bei uns im Lauf der Zeit so alles angesammelt hat. Jeder Gegenstand erzählt uns seine Geschichte, den Grund und die Umstände seines Erwerbs… Der süsse Duft der Erinnerung steigt in uns auf…
Allerdings verunmöglicht uns die offensichtliche Überfüllung die rationelle und effiziente Nutzung des Raums, um diejenigen Gegenstände aufzustellen, auf die wir gegenwärtig nicht verzichten können. Die Feststellung ist klar und eindeutig: Das Unnötige und Überflüssige muss entsorgt werden, um dem gegenwärtig Notwendigen Platz einzuräumen. Wenn es jedoch um die konkrete Wahl geht, ist unser Geist beunruhigt. So gut es geht, verzögert und vermeidet er mit Scheinargumenten das Herstellen einer Ordnung, mit der den aktuellen und künftigen Bedürfnissen Rechnung getragen werden könnte.
Ich bin überzeugt, dass Sie diese Situation gut kennen, da Sie vermutlich, wie die meisten Leute, alles aufbewahren, sich auf die Schulter klopfen und sagen: «Man weiss nie, vielleicht kann man das eines Tages noch brauchen…». Diese Situation betrifft auch unseren Staat und seine Verwaltung.
Nach Ereignissen, Entdeckungen und Entwicklungen erliessen wir oft reaktiv und emotional Gesetze. Wir taten dies aufgrund unserer Bildung, unserer Erfahrung und unserer Leidenschaft zum Schutz unserer spezifischen Interessen. Oft erliessen wir diese Gesetze für Ausnahmesituationen, die zwingend einen rechtlichen Schutz benötigten, und nicht für allgemeine, anerkannte und immer wiederkehrende Probleme. Mit dem Fokus auf die zu regelnde Situation vergassen wir dabei auch, die Auswirkungen auf andere schützenswerte Texte und Güter zu berücksichtigen. Und die sich daraus ergebenden Verflechtungen führen dazu, dass unsere Rechtsordnung jedes Jahr komplexer, rigider und einschränkender wird.
Um dieses dichte Gesetzeswerk bis ins kleinste Detail zu verwalten und der Komplexität der Themen sowie der exponentiellen Entwicklung der Wissenschaft Rechnung zu tragen, stellt die Verwaltung Spezialisten an. Schliesslich verstrickt sich der Staat in der Verwaltung von Details und findet keine Antwort auf die allgemeinen Bedürfnisse der Masse, weil er keine Säuberung vornimmt und die Zugänge sowie die schützenswerten Bereiche nicht priorisiert.
Diese Feststellung ist nicht neu, aber sie fällt mir bei der Präsentation des Informatikprogramms eConstruction wieder einmal auf. Ich bin überzeugt, dass die Verfahren mit diesem Instrument beschleunigt werden können. Allerdings erwies sich seine Umsetzung als äusserst schwierig. Die Dienstchefin musste sich mit rund 30 Spezialgesetzgebungen auseinandersetzen, die sich oft gegenseitig widersprechen.
Ich fragte deshalb bei der Dienststelle nach, ob die Gelegenheit genutzt wurde, um angesichts des aktuellen Kontextes und der vom Gesetzgeber definierten Politik die Aktualität und die Relevanz dieser Gesetzgebungen zu analysieren und das Schutzbedürfnis, die Auswirkungen und die Gewichtung zu priorisieren. Ausserdem hätte diese Informatikentwicklung eine Art von Frühlingsputz ermöglicht.
Die Antwort war negativ und ich stellte nach einer Reflexion fest, dass der Grossteil der Dossiers, die unseren Verband betreffen und stagnieren, im Gesetzeslabyrinth unseres Staats versandeten – und dieser Ausdruck ist eine bewusste Anspielung auf ein allseits bekanntes Thema. Gesetze werden isoliert, ohne Berücksichtigung allfälliger Widersprüche und ohne Festsetzung von Prioritäten, erlassen.
Was ist in dieser Situation zu tun?
Um meine Aussagen bildlich darzustellen, schlage ich eine Analyse des Bedarfs und der Effizienz unseres Corpus iuris civitatis in der Art und Weise vor, wie man ein Gemälde von Monet oder von Van Gogh betrachten würde. Als Laien würden wir uns etwas vom Werk entfernen, um die Harmonie zu spüren, die es ausstrahlt. Wir würden die Stimmung auf uns wirken lassen, die uns dabei helfen könnte, das allgemeine Thema zu verstehen, den Künstler und seine geistige Verfassung wahrzunehmen. Der Spezialist würde sich dem Werk zuerst nähern. Er würde die Bewegungen, den Einsatz der Farben und der Mischungen, die Schattengebung, die Geometrie, usw. detailliert analysieren. Aber schliesslich müsste auch er anerkennen, dass das Gemälde nur in seiner Gesamtheit ein Meisterwerk darstellt.
Dasselbe müsste für unseren Gesetzestempel gelten. In diesem Zusammenhang scheint mir die Vision von Aristoteles: «Das Gesamte ist mehr als die Summe seiner Teile.» zweckmässig zu sein. Sie steht für einen ganzheitlichen Ansatz beim Management der Herausforderungen unseres Staats. In einer sich ständig verändernden Welt, in der mit rasender Geschwindigkeit komplexe und zusammenhängende Herausforderungen auftauchen, scheint dieser Ansatz der einzige zu sein, der sich durchsetzen kann, indem er der Gesamtheit gegenüber der isolierten und wissenschaftlichen Analyse jedes Elements den Vorzug gibt. Diese integrale Vision der Realität fördert ein vertieftes Verständnis der komplexen Systeme und der nachhaltigen Lösungen.
«Das Bessere ist der Feind des Guten».
Dieses weise Zitat von Montesquieu trifft auf die zahlreichen Dossiers zu, die uns gegenwärtig beschäftigen. Der Mensch wird unsere «Gaia» immer abnützen. Jede Innovation, jede Entdeckung und jeder Fortschritt wird sich auf unser politisches, soziales, wirtschaftliches und ökologisches Umfeld auswirken. Man muss sie miteinander in Einklang bringen und auch anerkennen, dass die Bedeutung gewisser Güter gegenüber anderen, die im Widerspruch zu ihnen stehen, überwiegt.
Mit anderen Worten handelt es sich um das Gegenteil des Reduktionismus, der die Phänomene analysiert, indem er sie in die kleinsten Teile zerlegt, um die individuellen Bestandteile zu begreifen. Und anhand dieser Individualität erlässt er, abgekapselt von der Umwelt, seine Gesetze.
Nur ein globales und alle Phänomene integrierendes Verständnis, das die Bedeutung der Beziehungen und der Interaktionen betont und festhält, wird- über das Festlegen von Prioritätenermöglichen, den Willen der Masse, welche mehr ist als die Summe ihrer Teile, vollumfänglich zu konkretisieren.
Es ist also an der Zeit, unsere Ärmel hochzukrempeln und uns mutig an einen richtigen Frühlingsputz zu machen, indem wir die Vergangenheit zwar bewundern, aber vor allem in der Gegenwart leben, um die Zukunft zu integrieren und zu schützen.
Serge Métrailler
Direktor